Christoph Rothenberg, Rechtsanwalt und Mediator, ist mit seinem Buch „Die verlorene Ehre des Karl-Heinz Baum“ eine großartige Hommage an den großen Schriftsteller Heinrich Böll gelungen. Damit zeigt er, dass dessen Werk „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ zeitlos ist, sich in der heutigen Zeit nur die Werkzeuge geändert haben: An Stelle der Boulevardblätter von einst gehen heute Internet-Mobs mit Shitstorm, Social Media und Smartphone auf Menschenjagd.
Ein alter Mann wird in den Tod getrieben. Durch Worte. Ähnlichkeiten zu der »verlorenen Ehre der Katharina Blum« sind unvermeidlich.* Doch die vorliegende Geschichte spielt 40 Jahre später und die Rolle der Boulevardblätter, die eine Menschenjagd inszenieren, wird von einem Internet-Mob übernommen, der heutzutage über ganz andere Möglichkeiten verfügt, als die altehrwürdigen Schmuddelblätter des letzten Jahrtausends.
Blitzschnell und unaufhaltsam zeigt die Masse, wie persönlich sie trotz Anonymität werden kann. Aus dem Nichts und wegen einer Nichtigkeit entsteht ein Shitstorm und wird ein Menschenleben zerstört. Wird an Vernunft oder gar Ehre appelliert, zerfällt die Masse sofort in Individuen die, weiterhin anonym, nicht zu überzeugen sind. Immer ist jemand da, der weitermacht; aus Eigennutz, aus Gleichgültigkeit, aus Bosheit. Wer sich gegen den Sturm zu stellen sucht, droht ebenfalls zu seinem Opfer zu werden. Kollateralschäden sind vorprogrammiert.
In diesem Fall wird ein alter Mann geopfert, der sich aus mangelnder Erfahrung im Umgang mit sozialen Medien in eine unglückliche Position begibt und damit zum Spielball streitender Interessen wird. Aber es könnte jeden treffen. Von den Qualitätsmedien fehlt indes jede Spur. Ihre Relevanz scheint auf dem Rückzug – zu unflexibel, zu langsam zu träge, steckengeblieben im Flussschlamm der Geschichte oder gar aufgesprungen auf den Zug.
Wir erleben die jahrhundertealte Hexenjagd, diesmal ohne Heugabeln und Fackeln, dafür mit Shitstorm, Social Media und Smartphone.
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* Eine Bezugnahme im Werktitel wurde durch die Rechteinhaber an Heinrich Bölls Buch »Die verlorene Ehre der Katarina Blum« untersagt. Gleichwohl bleibt dies Werk auch eine Hommage an den großen Schriftsteller und die Relevanz seiner Gedanken in der heutigen Zeit.
Über den Autor: Christoph Rothenberg
Christoph Rothenberg hat Jura und Wirtschaftswissenschaften studiert und u. a. als Stadionordner, Paketwerfer, Banker, Unternehmensberater und Vorstandsreferent gearbeitet, bevor er vor nunmehr 16 Jahren seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Mediator aufgenommen hat. Seine Kanzlei liegt mitten auf dem Hamburger Kiez und er lebt mit Frau, drei Kindern und zwei Wellensittichen im Hamburger Westen, in dem er auch aufgewachsen ist.
Er hat diese Geschichte als Hommage an Heinrich Böll und dessen »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« geschrieben, aber auch als Ausdruck seiner Sorge darüber, welchen Zustand das, was vom öffentlichen Diskurs und dem Respekt vor der Meinung anderer übrig geblieben ist, inzwischen erreicht hat. Als Anwalt gehört Streit für ihn zum Alltäglichen – aber Streit der Argumente, nicht Herabwürdigung der Person.